Was Städte tun können, damit ihre Verdichtung akzeptiert wird
In Schweizer St?dten ist Verdichtung, die auf günstige Wohnungen und Grünraum setzt, akzeptierter als eine, die auf weniger Regulierung im Wohnungsbau setzt. Lange Planungsverfahren und Bauverz?gerungen lassen sich so früh vermeiden. Ein Bericht legt die Gründe für Planung und Politik dar.
- Vorlesen
- Anzahl der Kommentare
In Kürze
- In einem Forschungsbericht legen ETH-Forschende dar, wie Schweizer St?dte Innenverdichtung ?kologisch und sozialvertr?glich gestalten sowie bezahlbaren Wohnraum schaffen k?nnen.
- Die Akzeptanz der Wohnverdichtung steigt, wenn ?ffentliche oder gemeinnützige Organisationen sie realisieren und wenn sie auf günstige Wohnungen mit Grünraum setzen.
- Diese Pr?ferenzen zeigen sich nicht nur in den Schweizer Metropolen Zürich und Genf, sondern in allen 162 Schweizer St?dten.
Die Wohnraumsituation in Schweizer St?dten wird derzeit in Politik und Medien intensiv diskutiert. Auch für Raum- und Stadtplaner:innen ist sie ein Thema – schliesslich sind sie die Expert:innen für die kompakte Siedlungsentwicklung nach innen, wie sie das Schweizer Raumplanungsgesetz (RPG) seit zehn Jahren vorgibt. Zu ihren Kernaufgaben geh?rt es, die unterschiedlichen Nutzungsansprüche an den st?dtischen Raum wie zum Beispiel Wohnen, Arbeiten, Verkehr, Freizeit oder Erholung so aufeinander abzustimmen, dass sie sich m?glichst gegenseitig erg?nzen und Synergien schaffen.
An der ETH Zürich befasst sich David Kaufmann, Professor für Raumentwicklung und Stadtpolitik, mit der Innenverdichtung von St?dten. Seine Forschungsgruppe (SPUR) untersucht unter anderem, wie Angebot und Preise im Wohnungsmarkt mit politischen Entscheidungen für Gebietsentwicklungen sowie mit Infrastruktur- und Bauprojekten zusammenh?ngen, und wie sich Neubauten gesellschaftspolitisch aufs Wohnen in der Stadt auswirken.
Bahnh?fe: Neubauten verdr?ngen Geringverdienende
In mehreren Publikationen hat die Gruppe aufgezeigt, wie der Abriss günstiger, alter Wohnh?user (Jahrg?nge 1950er-1970er Jahren) und ihr Ersatz durch neue, in der Regel teurere Wohnkomplexe zu Verdr?ngungseffekten führt. Dies, weil sich Personen mit tieferen und mittleren Einkommen die h?heren Mieten nicht mehr leisten k?nnen und aus dem jeweiligen Quartier wegziehen müssen. Letzte Woche ist eine externe Seite Forschungspublikation erschienen, in der die Gruppe nachweist, dass solche Verdr?ngungseffekte von 2010 bis 2020 bei allen 49 grossen Bahnh?fen im Kanton Zürich stattgefunden haben (vgl. Literaturhinweise). Wie sich das Ph?nomen der sozialen Verdr?ngung durch Neubauten im gesamten Kanton Zürich ?ussert, hat die Gruppe im vergangenen Jahr in zwei Berichten dargelegt (vgl. Zukunftsblog, 21.03.2023).
Weil Verdichtungsprojekte in der Praxis oft auf Widerstand stossen, untersucht die SPUR-Gruppe systematisch, wie die ?ffentliche Meinung und politische Entscheidungen die Akzeptanz der Verdichtung in den St?dten beeinflusst. Im Nationalfonds-Projekt ?Densifying Switzerland? (2021 – 2025) werten die ETH-Forschenden alle raumplanungsbezogenen Volksabstimmungen von 2002 bis 2020 externe Seite für alle 162 statistischen St?dte der Schweiz aus. Anhand der lokalen Abstimmungsergebnisse ermitteln sie die politische Akzeptanz von Verdichtungsmassnahmen.
Fehlende Akzeptanz trotz politischer Zustimmung
Da sich die ?ffentliche Meinung mit der Zeit ver?ndert und von den Abstimmungsresultaten abweichen kann, führen die Forschenden zus?tzlich repr?sentative Befragungen mit Stadtbewohner:innen aus allen 162 St?dten durch. ?Auf diese Weise erkennen wir die Unterschiede zwischen der politischen Akzeptanz von urbanen Verdichtungsprojekten und der informellen Akzeptanz in der Bev?lkerung?, erkl?rt Michael Wicki, der aus der Akzeptanzforschung kommt und als Oberassistent in Kaufmanns Team forscht.
Zum Beispiel ist die Siedlungsentwicklung nach innen politisch grunds?tzlich akzeptiert und im Raumplanungsgesetz verankert. In der Praxis sinkt die Akzeptanz von Verdichtungsprojekten in der Regel jedoch, je n?her die Umsetzung rückt und die Ver?nderung in der Nachbarschaft absehbar wird. ?Wenn die Akzeptanz für Verdichtung fehlt, geht es oft um Bedenken in der Bev?lkerung bezüglich der Qualit?t, der Angemessenheit und den Langzeitfolgen eines Bauprojekts?, sagt Wicki.
Empfehlungen für eine akzeptanzorientierte Verdichtung
Nun hat David Kaufmanns Gruppe ihre Erkenntnisse im Forschungsbericht ??ffentliche Akzeptanz und Politik für eine grüne und bezahlbare Innenverdichtung? zusammengefasst. Er ist auf der SPUR-Website aufgeschaltet und richtet sich an Raumplaner:innen in den Stadtverwaltungen sowie an Politiker:innen, die die Weichen für die Stadtentwicklung stellen. Der Bericht enth?lt Analysen der laufenden Wohndebatten, Ergebnisse zur Verdichtungsakzeptanz und Politikempfehlungen.
Die wesentlichen Ergebnisse sind:
- Die Akzeptanz von Verdichtungsprojekten variiert nach Bautr?ger:in. ?ffentliche oder gemeinnützige Bautr?ger:innen werden gegenüber Privatpersonen und institutionellen Investoren bevorzugt. Auch soziale und ?kologische Begleitmassnahmen k?nnen die Akzeptanz positiv beeinflussen.
- Eine Verdichtungsstrategie, die auf ?weniger Regulierung? im Wohnungsbau im Sinne des Abbaus von administrativen und rechtlichen Hürden setzt, wird zwar nicht abgelehnt, findet in den St?dten aber deutlich weniger Zustimmung als eine ?grüne und bezahlbare? Verdichtungsstrategie, die auf günstige Wohnungen und eine Erh?hung des Grünfl?chenanteils setzt.
- Klimaschutz und klimaangepasste Stadtentwicklung haben in der Stadtbev?lkerung eine hohe Akzeptanz.
- Diese Pr?ferenzen zeigen sich nicht nur in den gr?ssten St?dten wie Zürich und Genf, sondern in allen Schweizer St?dten.
Die Forschenden empfehlen den Stadtregierungen generell, dass sie ihre Stadtplanungsteams so weit verst?rken, dass sie in der Stadtentwicklung strategisch handeln und eine aktive Bodenpolitik betreiben k?nnen, um ?kologische und soziale Entwicklungsziele zu erreichen. Aktiv zu werden bedeutet laut den aktuellen Studienergebnissen nicht ausschliesslich, neue Instrumente oder Regulierungen einzuführen (z.B. ein planungsrechtliches Vorkaufsrecht): St?dte k?nnen auch mit den bereits existierenden Instrumenten (z.B. Zonenplanung, Mehrwertausgleich) eine soziale und grüne Verdichtung umsetzen.
Beispielsweise über eine griffige und klare Ausgestaltung der kommunalen Bauordnung zugunsten einer grünen und sozialen Verdichtung oder über den Kauf von Land. Sowie durch eine aktive Kommunikationsstrategie mit privaten Grundeigentümer:innen, mittels derer sie involvierte Akteure für die Relevanz der Thematik sensibilisieren und informieren. So lassen sich Baublockaden, Bauverz?gerungen und lokaler Widerstand frühzeitig verhindern und das übergeordnete Ziel der Verdichtung effektiv und langfristig umsetzen.
Ihre Empfehlungen konkretisieren die Forschenden für die globalen Zentren Zürich und Genf; für die Schweizer Grossst?dte wie Lausanne, Basel, St. Gallen; für die mittelgrossen Agglomerationsgemeinden wie Opfikon, Spreitenbach oder Carouge, und für mittelgrosse Regionalzentren wie Chur, in denen der Wohnverdichtungsdruck noch geringer ist, in den kommenden Jahren jedoch zunehmen dürfte.
?Wichtig ist, dass St?dte aktiv Bodenpolitik für ?ko-soziale Verdichtung betreiben?
Wieso ist die Akzeptanz der Bev?lkerung für die urbane Wohnverdichtung wichtig?
Michael Wicki: Nicht die bebaute Umwelt macht Stadtentwicklung lebendig, sondern die Bev?lkerung, die sie nutzt. Darum ist die Akzeptanz der Bev?lkerung entscheidend für den Erfolg der Innenverdichtung.
Was ist der dringendste Handlungsbedarf der St?dte beim Wohnraum?
Wichtig ist, dass die St?dte ?kologische und soziale Aspekte in die Stadtplanung einbeziehen, dahingehend eine aktive Bodenpolitik betreiben und finanzielle Anreize für eine qualit?tsvolle Innenentwicklung schaffen. Zum Beispiel k?nnten sie neue Zonentypen in ihre Bau- und Zonenordnungen integrieren oder bestehende revidieren, die nicht nur die Eckwerte der Nutzung vorgeben, sondern auch ?kologische und sozialpolitische Ziele, um Verdr?ngungseffekte durch teurere Neubauten zu vermeiden.
Was empfehlen Sie bei Neubau oder Sanieren?
Aktuell werden im Kanton Zürich rund sechseinhalbmal mehr Wohnersatzneubauten als Sanierungen gebaut. Unsere Forschung zeigt, dass bei Ersatzneubauten die Mieten tendenziell steigen, weil dadurch bestehender und langj?hrig preiswerter Wohnraum verloren geht. Das führt oft zur Verdr?ngung der bestehenden Mieterschaft, w?hrend Sanierungen sozial vertr?glicher sind, weil die Mieter:innen in der Wohnung bleiben k?nnen. Alternativen zu Ersatzneubauten sind Aufstockungen, Umbauten, Umnutzungen und Erweiterungen.
Literaturhinweise
Wicki, M, Wehr, M, Debrunner, G, Kaufmann, D (2024). ?ffentliche Akzeptanz und Politik für eine grüne und bezahlbare Innenverdichtung. Bericht zur Akzeptanz der Verdichtung in der Schweiz. ETH Zürich. DOI: externe Seite 10.3929/ethz-b-000658391
Lutz, E, Wicki, M, Kaufmann, D (2024). Creating inequality in access to public transit? Densification, gentrification, and displacement. Environment and Planning B: Urban Analytics and City Science, 0(0). DOI: externe Seite 10.1177/23998083241242883
Debrunner, G, Hengstermann, AH. (2023). Vier Thesen zur effektiven Umsetzung der Innenentwicklung in der Schweiz. DisP-The Planning Review, 59(1), 86-97. DOI: externe Seite 10.1080/02513625.2023.2229632
Kaufmann D, Lutz E, Kauer F, Wehr M, Wicki M (2023). Erkenntnisse zum aktuellen Wohnungsnotstand: Baut?tigkeit, Verdr?ngung und Akzeptanz. Bericht ETH Zürich. DOI: externe Seite 10.3929/ethz-b-000603229
Lutz E, Kauer F, Kaufmann D (2023). Mehr Wohnraum für alle? Bericht ETH Zürich. DOI: externe Seite 10.3929/ethz-b-000603242