Für UNO-Agenda: Datenlücken in 193 Ländern aufgespürt
Damit Regierungen und internationale Organisationen informierte Entscheidungen treffen k?nnen, ben?tigen sie Daten. Wie gut diese weltweit verfügbar sind, analysieren die Vereinten Nationen gemeinsam mit der ETH Zürich. Dabei ergeben sich zum Teil überraschende Erkenntnisse.
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In Kürze
- Der von der ETH Zürich und den Vereinten Nationen entwickelte SDG-Monitor zeigt, wo globale Datenlücken bestehen und welche L?nder zuverl?ssig Daten zu welchen Themen liefern.
- Laut Begleitbericht sind 18 der 30 L?nder mit der besten Datenverfügbarkeit Entwicklungsl?nder, was beispielsweise auf unterschiedliche nationale Priorit?ten zurückzuführen ist.
- Der Bericht betont, dass die Verfügbarkeit von Daten stark von verfügbaren Ressourcen, der Methodik und dem mit der Datenerhebung verbundenen Aufwand abh?ngt. Die Datenverfügbarkeit verbessert sich dort, wo SDG-Daten fest in nationale Entscheidungsprozesse eingebunden sind.
Politische Entscheidungen zu treffen, wie etwa bestimmte Energiequellen zu f?rdern, Armut in l?ndlichen Regionen zu bek?mpfen oder die Ausbreitung bestimmter Krankheiten einzuschr?nken, funktioniert nicht ohne Daten als Grundlage. Sonst wird Politik zum Blindflug. Oder wie es Christoph G?ssmann sagt: ?Ohne Daten tappen wir im Dunkeln. Und derzeit tappen wir leider noch viel zu oft im Dunkeln.?
G?ssmann ist Doktorand in der Gruppe für Recht, Wirtschaft und Datenwissenschaft unter ETH-Professor Elliott Ash. Gemeinsam mit Mitarbeitenden aus dem Büro des Generalsekret?rs der Vereinten Nationen (UNO) hat er untersucht, wie sich die Verfügbarkeit aller Daten aus den 193 Mitgliedstaaten am besten auswerten und darstellen l?sst. Daten, mit denen man messen kann, wie die Agenda 2030 der UNO voranschreitet.
Die Agenda 2030 soll einen Weg zu einer nachhaltigen Welt im Einklang mit der Natur und in Wohlstand, Frieden und Partnerschaft weisen. Kernstück der Agenda sind die siebzehn Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs). Sie bilden den Rahmen für die internationale Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten und machen Fortschritte – oder Rückschritte – messbar. Doch dazu braucht es eben Daten.
G?ssmann hat gemeinsam mit UNO-Mitarbeitenden den SDG-Monitor entwickelt. ?Mit der Analyse-App geben wir Entscheidungstr?ger:innen in Regierungen und internationalen Organisationen die Datengrundlage, die sie für evidenzbasierte Entscheidungen ben?tigen?, sagt G?ssmann.
?Mit dem SDG-Monitor k?nnen wir ein übersichtliches Gesamtbild vermitteln, wo es Datenlücken gibt und Anhaltspunkte dazu liefern wie sich diese schliessen lassen.?Christoph G?ssmann
Wenig Daten zu Frieden und anderen Themen
Der SDG-Monitor steht frei zur Verfügung und verknüpft auf innovative Weise verschiedene offizielle Datens?tze der Vereinten Nationen und generiert so auf leicht zug?ngliche Weise neue Erkenntnisse. Generell gibt der Monitor Hinweise auf Datenlücken in bestimmten L?ndern und Themenbereichen, oder zeigt, welche L?nder besonders konsistent Daten liefern. Der Monitor erstellt automatisch Diagramme und wird mit zus?tzlichen Daten gefüttert, zum Beispiel dazu, welche Internationale Organisation für die Sammlung der Daten zu welchem Indikator verantwortlich ist (Custodian Agency).
So k?nnen sich die Nutzer:innen des Tools die gewünschte Datenlage zu einem oder mehreren L?nder anzeigen lassen und diese auch weiter aufschlüsseln. Die folgende Grafik zeigt die Datenlage pro Nachhaltigkeitsziel. Themen wie Energie, Gesundheit, Industrie sind deutlich besser dokumentiert als etwa Frieden, Klima oder Gender.
?berraschende Erkenntnisse im Begleitbericht publiziert
Ein Jahr nachdem der SDG-Monitor 2022 online ging, publizierte G?ssmann gemeinsam mit Kollegen der Vereinten Nationen und des Global Partnership for Sustainable Development Data einen Bericht zur Halbzeit der Agenda 2030. Neben Erkenntnissen darüber, welche Daten wo verfügbar sind, liefert der Bericht zahlreiche Hintergrundinformationen dazu, warum die Datenverfügbarkeit global and thematisch so unterschiedlich ist.
Die Autor:innen stellen darin zentrale Erkenntnisse vor: Zu dringenden Priorit?ten wie Geschlechtergleichstellung (Ziel 5) oder Klimaschutzmassnahmen (13) werden mehr Daten ben?tigt. Unter den 30 L?ndern mit der besten Datenverfügbarkeit befinden sich 18 Entwicklungsl?nder. ?Das war für uns zun?chst eine überraschende Erkenntnis?, sagt G?ssmann. ?Bei genauerem Hinsehen l?sst sich das zum Beispiel auf nationale Priorit?ten zurückführen, die bei Entwicklungsl?ndern oft st?rker mit den SDGs übereinstimmen als bei Industriel?ndern.? Unter den Top 30 befindet sich übrigens auch die Schweiz.
Die externe Seite Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) wurden 2015 verabschiedet und sollen bis 2030 von allen 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen (UNO) erreicht werden. Die 17 Nachhaltigkeitsziele sind in 169 Zielvorgaben unterteilt. Zu den Zielen geh?ren auch 248 Indikatoren, die rund 700 Datenreihen umfassen. Beispiele für Ziele sind: keine Armut, kein Hunger, hochwertige Bildung, weniger Ungleichheit, nachhaltige St?dte und Gemeinden etc.
Der Bericht stellt auch fest, dass die Daten je nach der für die Datenerhebung zust?ndigen Organisation (Custodian Agency) unterschiedlich gut oder schlecht verfügbar sind. Dies h?ngt unter anderem davon ab, wie aufwendig die Methoden zur Datenerhebung sind oder wie weit die statistischen Standards zur Datenerhebung zum Zeitpunkt der Einführung der Agenda 2030 entwickelt waren. Einige Daten lassen sich beispielsweise relativ kosteneffizient aus Satellitendaten ableiten, andere erfordern die Durchführung teurer und langwieriger Umfragen, die 2015 noch nicht entwickelt waren.
Wissenschaft und Politik Hand in Hand
?Es ist wichtig, sich zu vergegenw?rtigen, dass der SDG-Monitor nur Antworten darauf gibt, welche Daten für welches Land zu welchem Themenkomplex verfügbar sind?, sagt G?ssmann. ?Die App bescheinigt nicht, welche Fortschritte die Welt auf der Agenda 2030 gemacht hat – zum Beispiel ob Frauen und M?nner weltweit gleichberechtigt in den Parlamenten vertreten sind – sondern ob wir überhaupt die n?tigen Daten haben, um eine Aussage darüber zu treffen.? Aktuell seien noch viele Datens?tze lückenhaft. Vor diesem Hintergrund erfüllt der Monitor eine wichtige Rechenschafts- und Transparenzfunktion, die den Druck zur Umsetzung der SDGs aufrechterh?lt.
Ob die Regierungen nun wirklich komplett im Dunklen tappen würden, was die Datengrundlage ihrer Entscheidungen angeht? Ganz so drastisch sieht es G?ssmann nicht. Etwa auch, weil Daten in den letzten Jahren insgesamt etwas schneller an die Vereinigten Nationen gemeldet wurden als in der Vergangenheit. Grunds?tzlich verlassen sich L?nder natürlich nicht nur auf Daten, die sie im Zuge des SDG-Reportings erfassen und weiterleiten. Trotzdem ist es wichtig, die Verfügbarkeit von Daten zu erh?hen. Aber das geht nur, wenn es den politischen Willen dazu gibt. Neben ?ffentlichem Druck l?sst der sich herstellen, indem man konkrete Anwendungen für SDG-Daten im nationalen Kontext entwickelt – die Daten also nicht nur für das SDG-Reporting verwendet werden, sondern tief in Entscheidungsprozesse in den L?ndern integriert. G?ssmann erg?nzt: ?Dann lohnt es sich auch finanziell für L?nder, in die Erfassung von SDG-Daten zu investieren. Und dort, wo L?nder die Investitionen nicht aus eigener Kraft heraus stemmen k?nnen, müssen wir als internationale Gemeinschaft investieren, um lokale Kapazit?ten aufzubauen.? Bei all diesen Dingen unterstützt der SDG-Monitor Entscheidungstr?ger:innen in internationalen Organisationen, Regierungen, und der Zivilgesellschaft.
Partnerschaft zwischen ETH und UNO
Der SDG-Monitor und der Begleitbericht sind ein wichtiger Grundstein der Partnerschaft zwischen der ETH und der UNO. Im Oktober 2023 unterzeichneten die ETH und die Vereinten Nationen ein Memorandum of Understanding (MoU) und kündigten an, ihre Zusammenarbeit zu vertiefen (siehe Medienmitteilung vom 11. Oktober 2023). Die Partnerschaft soll die Entwicklung von technologiebasierten sozialen Innovationen zur Bew?ltigung globaler Herausforderungen vorantreiben. Die Website UNO-ETH-Partnerschaft gibt einen ?berblick und weiterführende Informationen.
Am Wochenende vom 20. und 21. September, fast ein Jahr der Unterzeichnung des MoU, treffen sich die beiden Partner im Rahmen des externe Seite Summit of the Future in New York, um den Fortschritt der Partnerschaft zu überprüfen. Bei dieser Gelegenheit findet auch die Veranstaltung ETH meets New York 2024 statt.
Literaturhinweis
Goessmann C, Idele P, Jauer K, Loinig M, Melamed C, Zak T: Pulse of Progress: The State of Global SDG Data in 2023. United Nations, 15. September 2023, doi: externe Seite 10.3929/ethz-b-000630718