Diese drei GenAI-Kooperationen zeigen das Potenzial der Wissenschaftsdiplomatie
In geopolitisch unsicheren Zeiten kann Wissenschaftsdiplomatie Vertrauen schaffen und Gr?ben zwischen Nationen überbrücken, betont Jo?l Mesot. Und pr?sentiert drei Partnerschaften in generativer KI, welche die Kraft sektorübergreifender Zusammenarbeit verdeutlichen – für humanit?re und friedenserhaltende Missionen sowie für vertrauenswürdige KI.
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Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der ganzen Welt forschen im Dienste der Gesellschaft und arbeiten an L?sungen für viele der globalen Herausforderungen, vor denen wir heute stehen.
Politische, diplomatische und akademische Allianzen spielen eine entscheidende Rolle beim Wissenstransfer und sorgen dafür, dass wissenschaftlicher Fortschritt in der Gesellschaft etwas bewirkt. Dies gilt insbesondere in Zeiten geopolitischer Instabilit?t und globaler Konflikte.
Denn oftmals bleiben die Kan?le der Wissenschaft offen, wenn eine Verst?ndigung oder Verhandlung auf politischer Ebene nicht mehr m?glich ist. Als Physiker kommt mir das CERN1 (die Europ?ische Organisation für Kernforschung) als inspirierendes Beispiel für internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit in den Sinn. Das mitten im Kalten Krieg gegründete Forschungszentrum diente als neutraler Ort in einer Zeit der politischen Polarisierung.
Ein weiteres Beispiel aus den jüngeren Jahren ist die Synchrotron-Lichtquelle für experimentelle Wissenschaft und Anwendungen im Nahen Osten (SESAME).2 In Jordanien arbeiten unter anderem Forscher aus Israel, Pal?stina und dem Iran zusammen. Auch die Schweiz hat ihre Bemühungen im Bereich der Wissenschaftsdiplomatie verst?rkt, unter anderem durch den 2019 gegründeten Geneva Science and Diplomacy Anticipator (GESDA)3, an dem Forschende der ETH Zürich weiterhin aktiv beteiligt sind.
Die Beispiele illustrieren, wie Wissenschaftsdiplomatie über die geopolitische Arena hinaus bestehen kann, indem sie Vertrauen schafft und Gr?ben zwischen Nationen überbrückt.
Schweizer Wissenschaftsdiplomatie
Ich bin in Genf aufgewachsen – und Wissenschaft und Diplomatie sind zu einem integralen Bestandteil meiner Lebenserfahrung und meiner t?glichen Arbeit als Hochschulpr?sident geworden. W?hrend sich die Diplomatie oft mit aktuellen globalen Problemen befasst, antizipiert die Wissenschaft zukünftige Herausforderungen.
Die Schweiz ist dank ihrer neutralen Haltung in der einzigartigen Position, die globale Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technologie, Innovation und Wissensaustausch voranzubringen. Als vertrauenswürdige Vermittlerin f?rdert sie Partnerschaften zwischen Industrie, Wissenschaft und zwischenstaatlichen Organisationen.
Betrachten wir drei Beispiele für Wissenschaftsdiplomatie in der Praxis: Drei Kooperationen im Bereich der generativen künstlichen Intelligenz (GenAI), die zeigen, was multilaterale Zusammenarbeit über Sektoren hinweg bewirken kann.
Engagiert für eine offene und zuverl?ssige KI
Künstliche Intelligenz ist heute schon allgegenw?rtig. Wir nutzen sie seit über einem Jahrzehnt und haben es kaum bemerkt. Wann immer wir einen digitalen Assistenten bemühen oder einen menschlichen Authentifizierungstest bestehen, ist KI im Spiel.
Mit dem Aufkommen von GenAI-Modellen wie ChatGPT hat sich die Art und Weise, wie wir arbeiten und Dinge produzieren, nochmals rasant ver?ndert. Das Potenzial von grossen Sprachmodellen (LLM) ist zweifelsohne gross, doch GenAI birgt auch Risiken und Schw?chen, die adressiert werden müssen.
Informatikerinnen und Informatiker der ETH Zürich und EPFL haben zusammen mit dem bulgarischen KI-Forschungsinstitut INSAIT4 und dem ETH-Spin-off LatticeFlow AI5 unl?ngst untersucht, inwiefern GenAI den Vorgaben des AI Acts der Europ?ischen Union (EU) für transparente und vertrauenswürdige KI entspricht. Dazu entwickelten die Forschenden die erste umfassende technische Interpretation des AI Acts, übersetzten das Gesetz in messbare Kriterien und bewerteten, wie gut KI-Modelle die Anforderungen erfüllen.
?Wir müssen politische und gesellschaftliche Innovationsbarrieren überwinden. Das kann gelingen, indem wir offene und multilaterale Zusammenarbeit f?rdern.?Jo?l Mesot, Pr?sident der ETH Zürich
Derweil arbeiten Hochschulen und Industriepartner wie Google und IBM an Rahmenwerken für offene Innovation und die Entwicklung von GenAI als potenzielle Technologie für den guten Zweck (Tech for Good). Dabei geht es auch darum, das reale Potenzial sch?dlicher KI zu minimieren. Als Mitglied der AI Alliance von IBM6 plant die ETH Zürich eine Reihe runder Tische mit Stakeholdern, um potenzielle Hürden für die Demokratisierung von KI auf globaler Ebene anzugehen. Ein Aspekt wird auch die praktische Umsetzung des AI Acts sein.
Hilfsgüter effizienter verteilen
Forschende der ETH Zürich haben für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) ein Planungsinstrument entwickelt, das die komplexe Versorgung von Menschen in Not mit medizinischen Hilfsgütern effizienter gestaltet. Das Tool wurde an einem Dutzend Standorten in Afrika, dem Nahen Osten und in der Ukraine eingesetzt und sparte dem IKRK im Jahr 2023 sch?tzungsweise 3,6 Millionen Franken (rund 4,1 Millionen US-Dollar).
Ein neues Projekt untersucht nun, wie KI-Tools, die Unternehmen wie Amazon in ihren Lieferketten einsetzen, von humanit?ren Organisationen genutzt werden k?nnen, wenn Ressourcen knapp sind und Leben auf dem Spiel stehen. Konkret prüfen die Forschenden das Potenzial des maschinellen Lernens, Prognosen des IKRK für die Lieferung von medizinischen Hilfsgütern an Spit?ler in Kriegsgebieten zu verbessern.
Unterstützung für UN-Friedensmissionen
Am Center of Security Studies (CSS)7 und am Interactive Visualization & Intelligence Augmentation Lab (IVIA)8 der ETH Zürich arbeiten Forschende zusammen mit den Vereinten Nationen (UN) an einem Deep-Learning-Modell, das kurzfristige Konfliktereignisse vorhersagen kann. Dabei sollen auch Techniken aus dem Bereich der Computer Vision zur Unterstützung von UN-Friedensmissionen zum Einsatz kommen.
Das langfristige Ziel: Eine kollaborative Mensch-KI-Plattform zu schaffen, die tiefe neuronale Netze und einen Pool an menschlichen Expert:Innen zusammenbringt, um fundierte Ereignisprognosen und Entscheidungen für Konfliktgebiete zu erm?glichen. Das Projekt ist eines von mehreren Elementen einer kürzlich geschlossenen Partnerschaft zwischen der UNO und der ETH Zürich.
Die genannten Initiativen zeigen das Potenzial sektorübergreifender Zusammenarbeit: Sie hilft uns, Herausforderungen in einer sich schnell ver?ndernden Welt effektiver zu bew?ltigen.
Dazu müssen wir politische und gesellschaftliche Barrieren für Innovation überwinden. Das kann gelingen, indem wir offene und multilaterale Zusammenarbeit f?rdern. In dieser Hinsicht kann die Schweiz als neutrale Vermittlerin eine wichtige Rolle in der Wissenschaftsdiplomatie spielen und sich dafür einsetzen, dass Fortschritt dem Allgemeinwohl dient und zu einer besser vernetzten und widerstandsf?higeren globalen Gesellschaft beitr?gt.
Jo?l Mesot hat diesen Beitrag für den externe Seite WEF Agenda Blogverfasst, wo der Text zuerst erschienen ist.