Reise zum Anfang der Nahrungskette
Auf der zweiten Etappe der Antarktis-Umrundung f?hrt das Forschungsschiff Akademik Treshnikov zun?chst von Tasmanien zum eisigen Rand des antarktischen Kontinents, bevor es ostw?rts Richtung Chile geht. Von Bord bloggt ein Ozeanograf, der den Südlichen Ozean bisher nur von der Theorie her kannte.
Von Hobart aus steuert der Kapit?n direkt nach Süden. Innert fünf Tagen überqueren wir den antarktischen Zirkumpolarstrom. Diese st?rkste aller Meeresstr?mungen fliesst ostw?rts rund um die Antarktis und l?sst n?hrstoffreiches Wasser des tiefen Ozeans an die lichte Oberfl?che treiben. In diesen kalten und von starken Winden verwirbelten Gew?ssern gedeihen Diatomeen (zu Deutsch: Kieselalgen) – fotosynthetische Einzeller, die sich zum Schutz vor den scharfen Z?hnen ihrer winzigen R?uber mit Opalschalen umhüllen.
Goldener Satz im Wasserfilter
In diesen ersten Tagen bin ich vor allem damit besch?ftigt, Wasserproben zu filtrieren, die wir dem obersten Kilometer des Ozeans entnommen haben. Erst sp?ter im Labor wird sich an den Filtermembranen genau messen lassen, wie viel Kiesels?ure – das Opal der Diatomeenschalen – in den Proben enthalten ist. Doch schon von blossem Auge erkenne ich einen Unterschied, als wir von den subantarktischen Gew?ssern um Tasmanien in die polaren Meereszonen vorstossen. Da f?rben sich die Filter pl?tzlich nicht mehr grün mit ?normalen? Algen, sondern gelb-braun: Diatomeen! Nicht umsonst nennt man diese Phytoplanktongruppe auch Goldalgen.
Man k?nnte meinen, mit den vielen N?hrstoffen aus dem Tiefenwasser sollten die Algen des Südlichen Ozeans pr?chtig gedeihen. Doch w?hrend unserer Fahrt nach Süden bleibt das Meer zun?chst tiefblau. W?re hier eine starke Algenblüte, würde ihr Chlorophyll die See leicht grünlich f?rben. Den Algen fehlt es hier wie sonst im offenen antarktischen Ozean an Mikron?hrstoffen. Ohne diese k?nnen sie, ?hnlich wie wir Menschen, nicht wachsen. Spurenmetalle wie Eisen und Zink sind für die Photosynthese unabdingbar. Und genau an Eisen fehlt es dem Meerwasser in dieser Gegend, weit weg vom Festland mit seinem eisenreichen Staub.
Wo die Nahrungskette beginnt
Sobald wir uns dem antarktischen Kontinent n?hern, ?ndert sich das Bild. Jetzt sind wir vor den steilen Eisw?nden des Mertz-Gletschers, der vom Festland her in den Ozean mündet. Der Mertz-Gletscher (benannt nach dem Schweizer Wissenschaftler Xavier Mertz, der hier sein Leben der Forschung opferte) und weitere Eisschilde der Antarktis schürfen das Gestein des Kontinents und geben eine n?hrende, eisenreiche Gletschermilch ins küstennahe Meer.
Das Elixier führt zu einer dichten Algenblüte, die ihrerseits ein pr?chtiges ?kosystem am Leben h?lt: Die Algen verwandeln die gel?sten lebenswichtigen Stoffe im Ozean – Stickstoff, Phosphor, Kohlenstoff – mithilfe des Sonnenlichts in verdaubare Biomasse und bilden so die Basis der marinen Nahrungskette. Eine Kette, die bis zu den Walen reicht, die sich hier im südlichen Sommer an Krill sattfressen.
Unsere Kollegen lassen ein feines Netz ins Wasser und holen es wenig sp?ter scheinbar fast leer an Bord. Doch der erste Blick trügt: Neben zwei kleinen antarktischen Silberfischen wimmelt es im Netz von allerlei durchsichtigen, lachsfarbenen und geleeartigen Lebewesen. Es sind Fischlarven, Krill und andere Tierchen, die alle direkt oder indirekt auf die Diatomeen und ihre Artverwandten angewiesen sind. Doch Diatomeen sind nicht nur zum Fressen da: Erst kürzlich konnte unsere Gruppe um Derek Vance an der ETH Zürich zeigen, dass diese winzigen Lebewesen die Chemie des globalen Ozeans massgeblich beeinflussen (ETH News, 07.02.2017).
Bunte Blüten bei den Balleny-Inseln
Auch fernab des Kontinents finden sich kleine Oasen. Zum Beispiel die Balleny-Inseln bei knapp 67 Grad Süd, die wir wenige Tage sp?ter erreichen, ein kleines, eisbedecktes Archipel, dessen steile Basaltw?nde unverhofft aus dem Meer ragen.
Satellitendaten zeigen ein eindrückliches Bild: Um diese Inseln herum leuchtet im Südsommer eine Algenblüte auf, die sich über mehrere L?ngengrade erstreckt. Als unsere Gruppe von Forschenden der ETH sowie der Unis Genf und Bern die r?tlich gef?rbten W?nde und das schwarzgefleckte Eis der Inseln sichten, denkt jede und jeder von uns sofort: Eisen! Solche ?Insel-Effekte? durch eine Art natürliche Eisendüngung sind zwar von anderen südlichen Eilanden bekannt, doch Eisenmessungen vom Meerwasser bei den kaum zu erreichenden Balleny-Inseln gab es bislang noch keine. Gebannt beproben wir den Ozean und müssen nun ungeduldig warten, bis wir die Proben, sauber filtriert und in s?uregereinigten Flaschen aufbewahrt, in einigen Monaten an Land analysieren k?nnen.
Ein pr?gender Prozess
Wird der Einfluss dieser Inseln auf die Ozeanchemie sichtbar sein? Sehen wir in den biologischen Daten, die andere Forschende an Bord sammeln, eine Reaktion darauf – eine ?nderung in der Algenh?ufigkeit etwa, oder in ihrer Artenzusammensetzung? Noch ist es zu früh, um dies zu beantworten.
Für mich pers?nlich aber steht der Wert dieser Expedition schon jetzt fest: Diesen wilden Ozean hautnah zu erleben; die sich stetig ?ndernde Farbe des Wassers zu beobachten; den Wellengang zu spüren; die ungestüme Lebendigkeit dieser unwirtlichen Gegend staunend festzustellen – all das vertieft meinen Blick auf die Lebenswelt der Diatomeen, die ich bisher nur vom Labor aus erforschen konnte.
Serie zur Expedition rund um die Antarktis
Die Forschenden der Antarctic Circumpolar Expedition (ACE) des Swiss Polar Institute (SPI) befinden sich mit dem russischen Eisbrecher ?Akademik Treshnikov? aktuell auf der zweiten Teilstrecke der Umrundung, die von Tasmanien nach Chile führt.
Die ETH-Forschenden an Bord berichten im Zukunftsblog von ihren Erfahrungen.
Weitere Informationen finden Sie unter externe Seite Swiss Polar Institute, externe Seite ACE Facebook , externe Seite ACE Twitter, externe Seite Schiff-Tracker.