Pille statt Spritze
Irene Pereira de Sousa erforscht am Institut für Pharmazeutische Wissenschaften neue Wege, auf welche Weise Arzneimittel oral verabreicht werden können.
Auf den ersten Blick wirkt Irene Pereira de Sousa zurückhaltend und respektvoll. Die 29-j?hrige Forscherin am ETH-Institut für Pharmazeutische Wissenschaften spricht mit ruhiger Stimme und ist darum bemüht, dass es ihrem Gegenüber gutgeht. ?Ich kann mich gut in andere einfühlen, bin oft gewissermassen Mediatorin?, sagt sie. Die Tochter einer italienischen Kinderpsychologin und eines Ingenieurs aus Brasilien hat schon im Elternhaus viel über den Umgang mit Menschen und unterschiedlichen Kulturen gelernt. F?higkeiten, die ihr nun in der internationalen Wissenschaftswelt helfen, um in multikulturellen Teams zu arbeiten.
Sie wollte immer studieren
Doch der erste Eindruck sollte nicht über die innere St?rke und den starken Willen der Wissenschaftlerin hinwegt?uschen. Ein Blick auf ihren Lebensweg zeigt, wie zielgerichtet Irene Pereira de Sousa bislang Schritt für Schritt ihre wissenschaftliche Karriere verfolgt hat – von der Studentin im italienischen Padua zur Postdoktorandin am Lehrstuhl für Drug Formulation and Delivery an der ETH Zürich.
?Ich bin in einem akademischen Umfeld aufgewachsen und wusste schon als Kind, dass ich sp?ter studieren m?chte?, sagt sie. Nur das richtige Studienfach musste sie noch finden. W?hrend ihr eineinhalb Jahre ?lterer Bruder Luis sich für Medizin entschied, w?hlte sie pharmazeutische Chemie und Technologie. Die Kombination aus Forschung, Chemie und der Hilfe für Menschen durch die Entwicklung pharmazeutischer Produkte reizte sie sehr.
Von der Kleinstadt hinaus in die Welt
Mit dem Studienbeginn trat sie in eine andere Welt ein. ?Ich bin in Pordenone, einer Kleinstadt in der Region Friaul-Julisch Venetien, aufgewachsen, und wollte unbedingt neue Erfahrungen machen und unabh?ngig werden?. Zun?chst ging sie an die Universit?t in Padua, dann mit einem Erasmusstudium ins spanische Alicante und für die Doktorarbeit nach Innsbruck in ?sterreich.
Hier forschte sie im Rahmen eines europ?ischen Projekts daran, wie man Patienten makromolekulare Wirkstoffe statt per Injektion oral verabreichen kann. ?Für Wissenschaftler in der pharmazeutischen Forschung ist dies eine der gr?ssten Herausforderungen?, erl?utert sie. Forschende seien seit Jahrzehnten auf der Suche nach einer L?sung, damit zum Beispiel Diabetiker Insulin nicht mehr spritzen, sondern in Tablettenform schlucken k?nnten. Bisher ohne Erfolg. Die S?uren im Magen, die Enzyme im Darm sowie die schützende Schleimhaut an den Darmw?nden setzen dem Insulin so sehr zu, dass es auf dem Weg durch den Verdauungstrakt an Wirkung verliert.
Wirkstoffe oral einnehmen statt sie zu spritzen
?Für meine Doktorarbeit habe ich an einem Nano-Tr?ger gearbeitet, der Arzneistoffe sicher in den Darm und durch die Darmschleimhaut hindurch ins Blut transportiert, wo das Medikament absorbiert werden und dann seine Wirkung entfalten kann?, erkl?rt die Nachwuchswissenschaftlerin. Dabei hat sie zwei Ans?tze verfolgt.
?Bei dem einen ging es darum, die Darmschleimhaut zu durchdringen, in dem ich die elektrische Oberfl?chenspannung des Nano-Tr?gers erh?ht habe.? Bei dem anderen sollten schleiml?sende Enzyme eine Art Durchgang schaffen. ?Wichtig war bei all dem, die Schleimhaut nicht allzu sehr zu sch?digen, da sie zugleich eine schützende Wirkung hat, zum Beispiel vor Bakterien?, sagt Pereira de Sousa. ?Würde sie zu durchl?ssig, k?nnte das den Patienten schaden.? Für diese Forschungen wurde Irene Pereira de Sousa 2015 mit dem Preis des Fürstentums Liechtensteins für herausragende wissenschaftliche Forschung ausgezeichnet. Von der ETH Zürich wurde sie zudem als ETH Fellow auserkoren und erh?lt für zwei Jahre ein Stipendium, um ihre Arbeit weiterzuführen.
Seit September 2016 sucht sie jetzt als Postdoktorandin in der Forschungsgruppe von ETH-Professor Jean-Christophe Leroux nach neuen Wegen, um die angeborene Stoffwechselst?rung Phenylketonurie zu behandeln. Etwa eines von 10'000 Kindern wird mit dieser unheilbaren Krankheit geboren. Betroffenen fehlt ein Enzym, wodurch sie die Aminos?ure Phenylalanin nicht abbauen k?nnen. Stattdessen lagert sich diese im K?rper ab und führt unbehandelt zu schweren neurologischen St?rungen. ?Menschen mit dieser Krankheit müssen eine strenge Di?t einhalten und dürfen nur Früchte, Gemüse und Spezialnahrung ohne Phenylalanin essen?, erl?utert Irene Pereira de Sousa. ?Ich m?chte daher Mikropartikel entwickeln, die ein alternatives aus Hefe entwickeltes Enzym in den Darm bringt, das zumindest zeitweise Phenylalanin abbaut.? Betroffene, so ihr Ziel, sollen so künftig auch normal essen k?nnen.
Forschung und Familie miteinander verbinden
Auch wenn dieses Projekt noch am Anfang steht, macht sie schon weiterführende Pl?ne. Sie will ihre akademische Karriere weiterverfolgen, und auch eine Familie ist Teil ihres Lebensplans ?Warum sollte ich zwischen Beruf und Familie w?hlen müssen?? fragt sie. ?Es muss m?glich sein, beides miteinander zu verbinden.?. Noch fokussieren sie und ihr Freund, ein junger italienischer Arzt, der gerade in Oxford forscht, sich voll auf ihre Arbeit. Einzig am Feierabend nimmt sie sich ein paar Stunden frei, um ihrer Leidenschaft, dem Tanzen, nachzugehen. Seit sie acht Jahre alt ist, macht sie Ballett, tanzt zudem Contemporary Dance und scheute auch nicht davor zurück, bei Aufführungen ihr K?nnen zu zeigen. ?Auf der Bühne, auf der ich einst tanzte, darf ich heute meine Forschung pr?sentieren?.