«Abkürzungen gibt es nicht»

?Ich bin nicht so gut im Erholen?, r?umt Elena Roos schmunzelnd ein. Die ETH-Gesundheitswissenschaftlerin und Spitzensportlerin weiss genau, wie wichtig gen¨¹gend Regenerationszeit im Trainingsplan ist. Und doch will ein Teil von ihr nichts davon wissen: ?Mehr ist besser ¨C das ist irgendwie in mir drin. Ich w¨¹rde immer gerne noch eine Runde l?nger trainieren.? In solchen Momenten hilft ihr die Aussensicht ihrer langj?hrigen Trainerin Simone Niggli-Luder. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass Roos so die richtige Balance gefunden hat: 2018 etwa wurde die geb¨¹rtige Tessinerin in zwei verschiedenen Staffeldisziplinen Welt- und Europameisterin, ein Jahr sp?ter landete sie im Gesamtweltcup auf Platz f¨¹nf.

Solche Erfolge sind der Lohn f¨¹r die t?glichen harten Kraft- und Ausdauertrainings. Obwohl sie schon seit Kindstagen Sportlerin aus Leidenschaft sei, erz?hlt Roos, gebe es nat¨¹rlich auch bei ihr Durchh?nger: ?Manchmal tut es nur noch weh. Dann denke ich an das Gef¨¹hl, an einer Grossveranstaltung am Start zu stehen. Diese Momente sind eine wichtige Motivation, um mich so abzum¨¹hen.? Durch Zufall kam die zehnj?hrige Elena mit dem Orientierungslauf in Kontakt. ?Ich hatte als Kind oft Heimweh. Damit ich unabh?ngiger werde, schickten mich meine Eltern in ein Ferienlager. Ihre Wahl fiel zuf?llig auf ein OL-Trainingscamp f¨¹r Kinder.? Sie fing sofort Feuer. Von da an rannte Roos regelm?ssig mit dem ?rtlichen Verein Orientisti 92 durch die W?lder der Magadinoebene, bestritt bald erste Wettk?mpfe und landete immer wieder auf dem Podest. Mit 14 Jahren wurde sie ins Tessiner Nachwuchskader aufgenommen, mit 16 durfte sie an die Jugend-EM in Slowenien reisen, sp?ter an Jugendweltmeisterschaften in Schweden oder Italien. ?Die Atmosph?re wurde kompetitiver, es f¨¹hlte sich ernster an?, erinnert sich Roos, ?aber das hat mich nicht abgeschreckt ¨C im Gegenteil. Der Druck und die gef¨¹hlte Verantwortung haben mich angetrieben.?

In unruhigen Zeiten an die ETH

Als Roos 20 Jahre alt war, w?re eigentlich der ?bertritt vom Junioren- ins Elitekader angestanden. Doch die Unbeschwertheit war inzwischen einem inneren Kampf gewichen. ?Pl?tzlich machte ich riesige technische Fehler, weil ich nicht fokussiert war?, erz?hlt Roos. Ihr fr¨¹her Erfolg habe es ihr nicht leichter gemacht: ?Am Anfang ist viel ?berraschung im Spiel, man ist jung und macht einfach mal. Mit der Zeit habe ich mir aber die Latte selbst zu hoch gelegt, wollte den Erfolg erzwingen?, analysiert sie. Inmitten dieser in sportlicher Hinsicht schwierigen Zeit galt es auch noch, den Grundstein f¨¹r die berufliche Zukunft zu legen. Lange wollte Roos Sportlehrerin werden, aber auch Biologie und Medizin interessierten sie. So war der gerade ?neu gegr¨¹ndete Studiengang Gesundheitswissenschaften und Technologie der ETH schliesslich der Hauptgrund, warum sie ihre Heimat Cugnasco f¨¹r Z¨¹rich verliess. Aber nicht der einzige: ?Auch Z¨¹rich als Stadt zog mich an. Ich habe mir gar nie ¨¹berlegt, an einem anderen Ort zu studieren.? 

Diese Entscheidung sollte sich auch f¨¹r ihren sportlichen Weg als goldrichtig erweisen. In Z¨¹rich blieb Roos n?mlich in Kontakt mit der Weltspitze, weil hier eines der zwei nationalen OL-Leistungszentren angesiedelt ist. So konnte sie regelm?ssig mit dem Schweizer Elitekader trainieren, obwohl sie vorl?ufig nicht dazugeh?rte. ?So blieb ich dran und merkte immer wieder, dass nicht viel fehlt?, schildert Roos. Ohne Mitgliedschaft, enge Betreuung durch Trainer sowie Trainingslager musste sie sich jedoch vieles allein erk?mpfen ¨C und stemmte daneben ein anspruchsvolles Studium. Auf diesen Spagat angesprochen, meint sie: ?Organisation und Disziplin waren zentral ¨C da gibt es keine Abk¨¹rzungen. Das Studierendenleben konnte ich trotzdem oft genug geniessen.? Auch kam ihr entgegen, dass die ETH gemeinsam mit studierenden Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern flexible L?sungen sucht, um Sport und Studium unter einen Hut zu bringen. Zum Beispiel k?nnen Pr¨¹fungen unter Umst?nden verschoben werden. ?Zu wissen, dass ich bei einem Terminkonflikt auf Verst?ndnis und Flexibilit?t stosse, hat mir geholfen?, meint Roos.
 

Rastlos in der Pandemie

Im Studium wie im Sport kam Roos so Schritt f¨¹r Schritt voran. W?hrend die physische Leistung sich weiter verbesserte, half auch die Sportpsychologie, den inneren Druck abzuschw?chen ¨C bis 2014 das Ende der Durststrecke erreicht war. Sie konnte f¨¹r die Elite-EM ins portugiesische Palmela reisen und landete an der Atlantikk¨¹ste in der Mitteldistanz auf dem 26. Platz. Eine Erl?sung, wie sie meint: ?Von da an hatte ich Aufwind. Ein gutes Resultat gab mir das Selbstvertrauen f¨¹r das n?chste.? Nach mehreren erfolgreichen Jahren wurde Roos dann j?h gestoppt: Corona. Fast die gesamte Saison 2020 wurde aufgrund der Pandemie abgesagt, nur noch einige nationale Wettk?mpfe fanden w?hrend rund eines Monats im Herbst statt. Nach einem Winter harten Trainings ihre F?higkeiten nicht unter Beweis stellen zu k?nnen, nagte ebenso an ihr wie die viele Zeit, die ihr ohne die Wettk?mpfe blieb. Neben dem Sport geht Roos flexiblen Teilzeitt?tigkeiten nach: Sie arbeitet in der Leistungsdiagnostik bei einem Sportzentrum und leitet Athletiktrainings f¨¹r junge Tennisspielerinnen und Tennisspieler. Auch diese Engagements waren nicht mehr m?glich.

Reflexion in der Krise

Sie habe in dieser Zeit viel nachgedacht, erz?hlt Roos. Auch dar¨¹ber, wie es in den n?chsten Jahren bei ihr weitergehen soll. Um sich beruflich noch mehr Optionen zu verschaffen, hat Roos soeben ¨C doch noch ¨C das Lehrdiplom Sport an der ETH absolviert. Im Orientierungslauf liegt der Alterszenit h?her als in anderen Sportarten, viele Athletinnen und Athleten sind mit ¨¹ber 30 sehr erfolgreich. Wenn die Pandemielage es also zul?sst, d¨¹rfte Roos auf dem Weg zu weiteren internationalen Erfolgen nichts im Weg stehen. Besonders freut sie sich auf die Heim-WM 2023 in Graub¨¹nden: ?Danach schaue ich weiter?, meint sie. Ob Z¨¹rich auf Dauer ihre Heimat bleibt, ist unsicher: ?Hier ist vieles auf Leistung ausgerichtet?, meint sie. Momentan passe ihr das gut, aber eine sp?tere Lebensphase k?nne sie sich auch wieder im Tessin vorstellen: ?Das Wetter ist besser, das Leben entspannter.?

Entspannung findet Roos auch in Z¨¹rich ¨C vor allem unter Freunden: ?Mein Hobby Nummer eins ist der Kaffeeplausch?, meint sie lachend. Und zwar am liebsten im Caf¨¦, obwohl sie auch die Aussicht vom Balkon ihrer Wohnung am Z¨¹richberg sch?tzt. Sie liest auch gern, wobei ihre Lieblingsb¨¹cher aus der gleichen Region stammen wie der Orientierungslauf: Auf dem Nachttisch liegt n?mlich meist ein skandinavischer Krimi. Was sich aber auch in ihrer Freizeit durchzieht, ist die Liebe zum Sport. Von Mountainbike ¨¹ber Langlauf bis Beachvolleyball findet sie so das ganze Jahr einen Ausgleich. Die Grenze zwischen Spass und Ehrgeiz ist dabei fliessend: ?Wenn ich kann, sorge ich daf¨¹r, dass auch die Rad- oder Langlauftour m?glichst an die Kondition geht.?